Edelweiss World Tour

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Acht Monate, 248 Tage, 64.000 km. Die längste organisierte Motorradausfahrt der Welt.
 

Edelweiss World Tour

Ein Tiroler Unternehmer stellt eine Ausfahrt, die noch niemand zuvor im Programm hatte, auf die Beine. Acht Monate, 248 Tage, 64.000 km. Nicht weniger als die längste jemals für Kunden organisierte Motorradtour der Welt. 1000PS war bei den letzten 24 Stunden vor dem Start dabei.

 
10:00 :Wolken ziehen am stahlgrauen Himmel über dem Holzleitensattel fadisiert vor sich hin. Westlich von Obsteig ist nicht viel los auf der B189. Wir treffen beim Hotel ein, in dem sich die meisten Tourteilnehmer der 1DE, wie das technokratische Kürzel der Reise lautet, bereits versammelt haben. Die meisten. Manche kommen erst nach uns an, freilich auf eigener Achse, aus Bremerhaven, wo sie das Moped frisch vom Schiff geholt hatten, oder von näher. (Und ja, Bremerhaven - Tirol ist eine Tagestour.)

Raureif überzieht Wiesen, die ihr saftiges Grün des Sommers schon lange gegen ein fahles Grau getauscht haben. Eiskristalle zeichnen fantastische Muster auf Windschilder, Aussenspiegel, Tankrucksäcke - und Sitzbänke. Zweiminus sagt das Cockpit des Mietwagens, den wir beim auch nicht sooo billigen Diskonter
am Innsbrucker Flughafen ausgefasst haben. Der Versuch, als Nichtraucher beim Ausatmen coole Ringe zu blasen, scheitert. Wie immer. Zügig schreiten wir in die Lobby des Hotels. Wer bei diesem Wetter mit der Mopette unterwegs ist, ist entweder Postler oder fest deppert. Oder er hat Grosses vor. Richtig Grooosses: Die längste
organisierte Motorradausfahrt der Welt startet im verschlafenen Tiroler Kaff Meaming (das auf der Landkarte und den Ortstafeln allerdings in Abweichung von der korrekten Aussprache als "Mieming" bezeichnet wird).


Die längste organisierte Motorradausfahrt der Welt.


11:00 : Durch die Balkontüre des fesch geheizten Lärchenholzzimmers sehen wir zu, wie Unerschrockene mit kräftigen Bewegungen Fahrzeuge waschen, ohne Pause, um nicht samt Schwamm festzufrieren. Wie sie Zurrgurte abhängen, und letztlich sogar Motoren starten und zur Tankstelle fahren. Gelbe Nummerntaferln. Brits, ok, die trinken auch lauwarmes Bier ohne Kugerln. Denen ist per se nicht zu helfen. Ein Floridataferl hängt sich an, und zwei mit 3M-Rückstrahlefolie tapezierte Suzis aus Georgia sind auch dabei. Vignetten kaufen. Volltanken. Sich den Arsch abfrieren. Was auch immer.

12:00 : Werner trifft ein. Er ist schon über Sechzig, was man aber nicht gleich merkt, und dennoch geht es hier und heute (und morgen und die nächsten 247 Tage) um einen Dreissiger. Um den von seinem Baby, das schon
lang kein Baby mehr ist. Die Rede ist nicht vom Nachwuchs, von Anne oder Tobias.

Die Rede ist von seiner Firma, exakter von einem Motorradreise-Organisationsanbieter, der nach einer unter Naturschutz stehenden Gebirgsblume benannt wurde. (Nein, Enzian ist falsch. Weiterraten!) Biketravel würden jene Brits sagen, deren Sitzmuskeln sicher noch immer
nicht aufgetaut sind, obwohl sie schon in der Lobby des Hotels Papierstapel schlichten. Kevin und Richard, Mick und Allen. Allen ist der Mechaniker.

Er hat leicht grinsen, denn er zahlt die nächsten Monate sein Bier nur selten selber und hat einen beheizten Sitz im Transit. Wenn es um (vergleichsweise) kurze geführte Motorradtouren von ein paar Tagen bis drei Wochen oder so geht, ist Werners Gebirgsblumenreisebüro die
Nummer eins der Welt. Und diese Welt wollte er sich jetzt endlich mal in Ruhe ansehen. En gros, en detail. Und in Gesellschaft. Dafür braucht man natürlich Spezialisten für epische Touren. Genau hier kommen jene temperaturresistenten Brits ins Spiel, die sich Globebusters nennen. (Ältere Menschen denken jetzt vielleicht an einen Hollywoodfilm aus dem Jahr ... wollen Sie das wirklich wissen? Ehrlich? OK, na dann ... 1984. Da war Werners Blumenreisefirma grad vier Jahre alt und das erste Mal in den USA unterwegs.)  Globebusters ist Kevin. "Kevin selten zuhause" würde der Film über ihn heissen. Kevin ist Weltrekordhalter im Nichtstehenbleiben, circumnavigation sagt das Wikipedia der Engländer, was verdammt nach dem medizinischen Fachausdruck für Beschneidung klingt, aber wir wollen hier nicht abschweifen. Wir reden also über (und mit, er bemüht sich netterweise, sein Walisisch im Zaum zu halten) Mr. 35-Tage-Panamericana-am-Bock bzw. über Mr. Neunzehneinhalbtagerundumdiewelt.


In 19,5 Tagen rund um die Welt.


Mit der Gattin. (Nein, rund um die Welt ist eh länger als die Panamericana, aber zwischen Alaska und Feuerland sind die Flieger-Zwischenetappen kürzer und der Motorradanteil entsprechend höher, was den Schnitt dann doch merklich drückt.)

13:00 : Das Pre Departure Meeting beginnt. Kevin stellt sein Team vor, but that is just sausage, weil jeder kennt jeden mittlerweile, seit Mai ist schon klar, wer an der Weltreise teilnehmen wird. Freundschaften und Seilschaften wurden gebildet, Teamgenossen und Mitschläfer gesucht und gefunden. Letzte Infos. Es geht um Eckdaten des morgigen Tages, und um scheinbare Nebensächlichkeiten, die einem dennoch einen ganzen Tag so wirklich richtig versauen können. Zum Beispiel: Den Reserveschlüssel bitte eher nicht im Seitenkoffer einsperren. Geben Sie nicht nur das Tagesziel ins Navi ein und folgen Sie der lila Linie, Sie könnten etwas verpassen. Benutzen Sie die Waypoints am Zettel, die Karten, das Navi, den Hausverstand. Drei von diesen vier reichen oft, aber nicht immer. Und so. Just to remember the basic facts.

 
 
Morgen geht es los. Von Meaming nach Meaming, wie Werner es ausdrückt. Also nicht sehr weit, oder doch so weit, wie es nur denkbar ist. Einmal ummadum. 64.000 km in 248 Tagen. Was der arme Kevin da machen soll, denken wir uns, denn wenn er das in 19,5 Tagen schafft, wird er sich vielleicht 228,5 Tage ein bisserl fadisieren.
11 Glückliche haben die Kohle und die Zeit, die ganze Runde zu fahren. Andere fahren "nur" einzelne Etappen mit. Von Österreich rollt die Gruppe nach Afrika. Mann/Frau und Motorrad fliegen anschliessend nach Buenos Aires, Argentinien. Die zweite Etappe führt durch annähernd ganz Südamerika bis nach Bogota in Kolumbien. Alleine dafür sind neun Wochen vorgesehen. Nach Überquerung des Panama-Kanals geht die dritte Etappe nach Los Angeles, Kalifornien. Mit nur fünf Wochen ist die relativ kurz. Einen Flug über den Pazifik später liegt eine Durchquerung von ganz Australien an: 11.000 km in nur vier Wochen. Da sind Fitness und Ausdauer vorteilhaft, nicht zuletzt, weil ein Berichterstatter der Alpenrepublik zur geographischen Halbzeit der Reise in Sydney eintreffen wird und die Bande bis Perth begleiten darf. Wenn die Jungs und Mädels selbigen Schreiberling losgeworden sind, startet die letzte Etappe in Bangkok und führt durch ganz Asien wieder nach Tirol. Dann schreiben wir den 27. Juli 2011, wenn alles gut gegangen ist.

 Einmal ummadum. 64.000 km in 248 Tagen.


15:00 : Der Wellnessbereich ruft. Dampfendes Wasser blubbert im Outdoorbereich des Pools, irgendwo hinter der Sauna blubbern ein paar Boxermotoren. Die werden doch nicht wirklich ... doch, tun sie. Gerne würden wir untertauchen, um dem Geräusch zu entgehen, aber dann ist es nachher so kalt mit den nassen Haaren. Man hat es nicht leicht in Zeiten wie diesen!

19:30 : Das Abendessen, mehrgängig wie ein GS-Getriebe, wird übersichtlich angerichtet serviert. Käse schliesst den Magen, und wenn Journalisten bei Pressereisen grad beginnen, an der open bar aufzuwachen, legt man sich als Weltreisender in spe schon flugs in die Heia. Morgen ist ein anstrengender Tag, und der gesündeste Schlaf ist vor Mitternacht, lässt die Oma ausrichten.

?:00 : zu früh jedenfalls. Draussen ist es stockdunkel, das iPhone bimmelt zur unchristlichen Uhrzeit. Die gekippte Balkontüre lässt nicht nur die sprichwörtlichen Eisbären im Zimmer herumwandern, auch am Kiesweg knirschende Schritte zart quietschender Endurostiefel finden aus der gespenstischen Ruhe der Tiroler Einschicht akustisch bis zu unserer Bettkante. Die werden doch nicht ... doch, tun sie. Wie ein nasser Hund schüttelt sich der erste GS-Motor, und springt mehr aus Mitleid gegenüber dem Starter als aus ehrlicher Überzeugung an. 7:00 : Zarte Farbtöne tasten sich über die gezackten Gipfel der Tiroler Alpen, während am Frühstücksbuffet noch mehr Endurostiefelquietscherei und das Rascheln der Multifunktionsallwetterhosen im mehrsprachigen Mutzusprechritual ("good morning", "moinmoin", "guten Mooorgen!", "buon giorno") untergehen. Während die einen vor lauter Schwätzen kaum zum Essen kommen, schieben die Kollegen am Nebentisch stumm eine Gabel nach der anderen zwischen die Kiefer. Jeder hat seine persönliche Art, mit Anspannung und Nervosität umzugehen.

8:00 : Nervosität macht sich jetzt auch bei denen breit, die daheim bleiben müssen. Am Seitenständer laufende Motoren, letzte Vorbereitungen, Eiskratzen am Spiegel, auf der Sitzbank, Navi anstöpseln, Heizhandschuhe per Klinkenstecker mit dem Kraftwerk verbinden. Touratechblechkisten schnappen auf und zu. Und so.
Karin geht mit dem Notitzblock durch und erfragt Ein-Satz-Kommentare. "Neid, Missgunst, Eifersucht und Freude für die anderen" steht neben "Bin sehr froh, erst in Sydney aufzusteigen", was die zur Abfahrt extra angereisten später Zusteigenden betrifft. "Can't wait to get startet" sagen fertig Adjustierte, aus Georgia, der Heimat von Coca Cola und "Vom Winde verweht"
schallt ein kräftiges Südstaaten-"Yiiiiiiehaaaa!" quer über den Hof.

Kuscheltiere werden mit Kabelbindern an gefrorene Alulenker gezwungen. Im Tankrucksack liegt ein Zettel: "The first day of the rest of your life." "Kickstands up eight fifteen sharp" lautet das Kommando, der Konvoi setzt sich noch unroutiniert in Bewegung. Bis Werner auf seiner knallroten 650er als Letzter den Hof verlässt, dauert es. Meaming wartet. Der Bürgermeister steigt derweil vor dem Gemeindeamt schon von einem Fuss auf den anderen, frisch ist es, dabei hat der Winter hier im Tal noch garnicht begonnen. Schaulustige halten Fotoapparate und Videokameras, dick eingepackt (die Schaulustigen). Letzten Sonntag sind die Einheimischen noch im T-Shirt herumgelaufen, föhnige 20 Grad hat es gehabt. Derzeit sind es zwei weniger, blöderweise sind es aber genau die "2" vor der "0", die am Display fehlen.




9:00 : Werner greift zum Mikrofon, begrüsst die Anwesenden. Er erzählt von seinem Traum, die Erde am Motorrad zu umrunden, stellt Kevin und sein Team vor. 1600 Touren zu 180 Destinationen hat Werner seit 1980 angeboten, 29.500 Gäste haben mit seiner Firma auf ungezählten Kilometern Freude erfahren. Heute ist Werner Gast auf Kevins Tour, mitorganisierender Gast, aber dennoch Gast und nicht Gastgeber. Ungewohnt wird das für ihn sein. Aber er hat 248 Tage Zeit, sich daran zu gewöhnen. Jeder Mitreisende auf der ersten Etappe wird namentlich aufgerufen, im Publikum wird - schon um sich warm zu halten - herzlich applaudiert. Die Hymnen der teilnehmenden Nationen rühren selbst hartgesottene Biker mit Iron-Butt-Kennzeichenhalter zu Tränen - "the land of the free and the home of the brave" hin oder her.

Wenige Minuten trennen die dick eingemummelten Eisenreiter noch von der Reise ihres Lebens. Jetzt sind Emotionen erlaubt. Runter mit der Kappe, Hand auf's Herz zu God save the Queen. Fratelli d'Italia erklingt für den Bozener, der eigentlich ein Salzburger ist. Das Kaiserlied für die bundesdeutsche Abordnung, die deutlich weitere Strecken zurücklegen wird als nur bis zu jenen Flüssen, die gottlob seit vielen Jahren nicht mehr besungen werden. Und zum Schluss berichtet die Wolfgang Amadeus Mozart zugeschriebene Melodie vom Land der Berge, zuhukunftsreich. Gruppenfotos, Einzelfotos, letzte Umarmungen. Coral wird ihren Mann Werner in Buenos Aires besuchen, dort gemeinsam den Dakar-Start erleben, Sylvester feiern, und sich dann wieder für neun Wochen von ihm verabschieden. Die Kinder drücken Werner noch ein letztes Geschenk in die Hand - Tupflack für sein signalrotes Motorrad. 


See you in Sydney!


"Gfraster" denken sich die einen lachend, "mei, liab" die anderen. "Five minutes to go", erschallt der Ruf der Globebusters. "Have a good time", "Passt's guat auf auf eich", "Bis Weihnachten" und "See you in Sydney"! Während der Bürgermeister - noch unschlüssig, wann es Zeit zum Schwenken sein wird - die rot-weiss-rote Fahne entrollt, kann Kevin sich nimmer zurückhalten. Er will endlich nach Meaming, reisst die zu Werners Blumenreisenfirmengeburtstag passend im 30er-Jahre-outfit schneeweiss lackierte Adventure an und kommt - wahrscheinlich versehentlich - an der Hupe an. Der Rest der Truppe deutet dies korrekt und folgt dem Guide akustisch ebenbürtig. Heading west ist das Motto. Richtung Bregenz, dann in die Schweiz. Übernachtung. Arles in Südfrankreich. Übernachtung. Und dann, weil a Gaudí muss sein, ein Rasttag in Barcelona. Las Ramblas. Die Sühnekirche der Heiligen Familie. Das Meer. Die Wärme. Hoffentlich. Nach acht Tagen und 1.700 Meilen - Schengen sei Dank - die erste Grenzkontrolle: Marokko.
 

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10:00 : Wir begleiten die Motorradfahrer ein Stück auf der Autobahn, schiessen noch ein paar Bilder der lachenden und winkenden Biker. Daumen in der Höhe. Zum Visierrand tippende Zeigefinger, ein saloppes Salutieren andeutend. Zwei Finger zum Victory-Zeichen. Breites Grinsen hinter dem Doppelscheibenvisier.

14 Grad im Roppener Tunnel, satte 12 mehr ausserhalb. Bis Landeck dauert es, um die Spitze einzuholen. Rechts blinkend werden wir auf dem Verzögerungsstreifen langsamer, die Meute zieht noch ein Mal vorbei, die Hand zum Gruss erhoben. Am ersten Bike Kevin, ihn werden wir in Sydney wiedersehen. Richard am zweiten Motorrad fliegt von Los Angeles gleich nach London heim, Mick am dritten Moped bleibt in LA, um einen Panamericatour zu guiden. Catherine, Lawrence, Gunter und Reinhard folgen, dann Ernst, Alfred und Charles. Manfred, Christoph und Roger - die drei, die nur die erste Etappe gebucht haben. Als nächster kommen Erwin und Bärbel, die Frau, die die ganze Tour im mächtigen Windschatten ihres Piloten erleben wird. Terry. Und die haberkornhuterlrote 650er von Werner, mit dem per Fingerdruck am Solarplexus jodelnden Bären. Die rote Schleife, mit der der Bär am Tankrucksack hängt, zerlegt sich schon im Fahrtwind. Die von Alukisten und Ortlieb-Packsäcken umringten roten Lichter verschwinden langsam aus dem Blickfeld.

Today is the first day of the rest of your life.



 

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Text: Alexander Seger

Fotos: Alexander Seger

   
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Bericht vom 29.11.2010 | 7.886 Aufrufe

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