Interview KSR: "Chinesische Hersteller sind auf Europa-Niveau"

Michael Kirschenhofer, General Manager der KSR Group, im Talk.

Die KSR Group ist ein Big-Player am europäischen Zweiradmarkt, hatte 2023 aber finanzielle Schwierigkeiten. Michael Kirschenhofer, spricht mit uns im Interview darüber, was passiert war, was jetzt der Status quo ist und warum chinesische Hersteller mittlerweile auf europäischem Niveau (oder sogar darüber) angekommen sind. Zusätzlich steigt die KSR Group noch umfangreicher in ein neues Geschäftsfeld ein.

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Michael, lass uns zu Beginn gleich über das grösste Thema 2023 von euch sprechen: Den Insolvenzantrag gefolgt von eurem Sanierungsplan. Es wurde sehr viel drüber in der Branche gesprochen und spekuliert. Wie ist eure Situation aktuell und gibt es noch irgendwelche Altlasten?

Die Situation ist einfach: Durch die Annahme des Sanierungsplans sind wir auf dem besten Wege das Unternehmen innerhalb der nächsten 15 Monate vollständig zu entschulden. Was war passiert? Wir haben die geldgebenden Banken über sehr hohe fällige Aussenstände gepaart mit hohen Lagerständen informiert. Die Liquiditätssituation war dadurch entsprechend angespannt. Ebenso hatte sich die Ertragssituation aufgrund von massiv gestiegenen Transport-, Material- und Logistikkosten drastisch verschlechtert. Und das passierte praktisch zeitgleich mit einer deutlichen Kaufzurückhaltung durch den Ukraine-Krieg und der plötzlich stark angezogenen Inflation. Die notwendige Zeit für die "Reparatur" wurde uns nicht gegeben.

In der Herleitung nennst du klar definierte externe Ereignisse, die man nur schwer vorhersehen kann. Aber war manches vielleicht auch hausgemacht, beispielsweise durch eure sehr grosse, schnelle Expansion?

Ich glaube wie bei sehr vielen anderen Herstellern in unserer aber auch in anderen Konsumgüterbranchen waren die Pläne einfach zu ambitioniert. Im Rahmen der Pandemie haben wir eine unglaubliche Nachfrage nach E-Bikes / Fahrrädern und Motorrädern erlebt. Die Leute konnten ihr Geld nicht für Urlaube oder Ausgehen ausgeben, daher wurde in die ausübbaren Hobbies investiert. Der Handel hatte seine Ware komplett verkauft gehabt, daher hat man für die Folgejahre angenommen, die Nachfrage würde weiterhin so gross bleiben und eventuell sogar noch wachsen. Der Handel gierte nach Ware, welche durch unterbrochenen Lieferketten nicht verfügbar gemacht werden konnte. Mit der Inflation ist die Nachfrage stark eingebrochen. Daher wurden Überlager aufgebaut, weil halt auch niemand mit so einem schnellen, rasanten Abschwung der Nachfrage gerechnet hat. Die Misere haben wir jetzt, gleich ob E-Bikes oder Motorräder: Die Lager sind voll um nicht zu sagen übervoll und die Rabattschlachten kennen kaum ein Ende. Angebote wie kompletter Mehrwertsteuer-Bonus und Co. machen die Runde. Mancher Fahrrad-Hersteller hat mit -50 Prozent seine eigenen neuen Modelle auf der Homepage verkauft zu Saisonbeginn. Wenn man zu Saisonbeginn Fahrräder aus dem aktuellen Jahrgang um die Hälfte verkauft, dann kann man schon ahnen, dass hier massiv der Wurm drinnen ist. Die Nachfrage wurde in vielen Bereich falsch eingeschätzt. Ein Marktteilnehmer hat letztens "Survive until 25" in den Mund genommen. Das bringt es wohl am besten auf den Punkt.

Und was kommt dann?

Dann gehe ich davon aus, dass sich die Situation wieder etwas entspannt. Bis dahin wird es massive Lagerräumungen geben - wie bereits erwähnt. Aber die Sparquote der Kunden ist hoch, die Kreditzinsen werden sich wieder senken, die Zuversicht und die positiven Signale werden zurückkommen und dann werden die Leute auch wieder bereit sein, ihr Geld für Neuanschaffungen auszugeben. Bis dahin heisst es durchbeissen.

Interview KSR Group
Christian Kirschenhofer (li.) und sein Bruder Michael leiten die KSR Group.

Dann sprechen wir doch konkreter über euer Geschäftsmodell: Die KSR Group hat Marken wie Brixton oder Motron gegründet, die Modelle werden teilweise in Europa und Asien entwickelt aber gänzlich in Asien (überwiegend China) produziert und dann hier in Europa verkauft. Dann habt ihr aber auch Marken gekauft und wiederbelebt, beispielsweise die italienische Traditionsmarke Malaguti. Und ihr seid auch Generalimporteur für ausgewählte Marken für gewisse Regionen, beispielsweise Royal Enfield für den DACH-Bereich und QJ Motor für Österreich und Deutschland sowie Segway Powersports und Access Motor. Dazu zwei Fragen: Warum habt ihr diesen Weg eingeschlagen und wie gut sind heute Fahrzeuge aus China und Co. wirklich?

Korrekt, so sieht unser Geschäftsmodell in der Mobilitätssparte grob aus. Zusätzlich haben wir noch eine zweite Geschäftssparte mit Smart Products, aber bleiben wir doch bei meinem Steckenpferd der Mobilitätssparte. Bei den Smart Products ist überwiegend mein Bruder Christian der Chef. Unsere Idee / Vision ist klar: Clevere, intelligente und zeitgemässe Mobilitätslösungen. Der Kauf von bekannten Marken hat den Vorteil, dass man eine gewisse Heritage hat, die man mit modernen Fahrzeugkonzepten kombinieren kann. Natürlich bietet die Fertigung in Fernost einen spürbaren Kostenvorteil, den wir dann an unsere Endkunden und Händler weitergeben, um somit coole und moderne Motorräder, Roller, Quads oder Side-by-Side Fahrzeuge zu attraktiven Preisen anbieten zu können. Angesprochen auf beispielsweise chinesische Fertigung: Ich reise mehrmals im Jahr zu unseren Partner nach China und Thailand und schaue mir das live vor Ort an. Fakt ist: In Sachen Verarbeitung, Qualität und Fertigungs-Know-how spielen die grossen China-Hersteller absolut auf europäischem Niveau, punktuell ist man sogar besser. Das Märchen, chinesische Hersteller würden sich am europäischen oder westlichen Know-how damit bereichern, sehe ich nicht. Ich glaube, die brauchen es nicht mehr, die haben es schon. Immerhin sind ja auch fast alle grossen Automobilhersteller mit Werken dort vertreten, inklusive deren Zulieferer. Heisst: Das Know-how ist schon längst dort und wird sukzessive verbessert / verfeinert. Wir haben bei unseren letzten Reisen auch Automobilhersteller besucht. Man muss den chinesischen Zwei- und Vierradherstellern neidlos zugestehen, dass Sie hier gewaltige Technologiesprünge gemacht haben.

Heisst abgekürzt: Chinesische Bikes stehen jenen aus Europa, Japan und USA in Sachen Qualität, Verarbeitung in nichts nach?

Wenn man es möchte, dann nicht. Auch in Sachen Performance wird deutlich nachgezogen. Und wenn man sich dann im Detail ansieht, wie viele europäische Hersteller bereits mit chinesischen Partnern zusammenarbeiten, dann ist klar, dass in China gerade viel passiert. Ob BMW, Ducati, KTM, Beta, Sherco, Triumph um nur ein paar zu nennen alle kooperieren mit Partnern in China, Thailand, Indien und lassen dort teilweise ganze Motorräder fertigen und verkaufen diese dann zu europäischen Preisen hier bei uns.

Also stimmt der Vergleich: Was in den 1960ern und 1970ern die Autos aus Japan waren, die nach Europa und die USA gekommen sind, um sich fest in den Märkten zu etablieren, sind jetzt die Motorräder aus China?

Absolut. Nur geht es jetzt schneller! Ein Beispiel: QJ Motor bringt auf der diesjährigen EICMA 40 neue Modelle. Das zeigt eindeutig, wie ernst es die Marke mit dem Markteintritt in Europa meint. Und wir sprechen hier von einem breiten Modellportfolio, welches den europäischen Geschmack treffen wird. Die Zeiten, wo asiatische Hersteller dachte, mit 125ern, 200ern und 250ern in Europa reüssieren zu können, sind vorbei. Diese Hersteller haben gelernt, dass es in Europa und den USA grosse Hubräume braucht, performante Motorräder mit hochwertiger Ausstattung. Das wird jetzt geboten, nur zu einem günstigeren Preis. Ganz so, wie es auch Hyundai und Kia beim Markteintritt gemacht haben: Gute Qualität, gute Leistung, fairer Preis.

Interview KSR
Mit Brixton hat KSR bereits eine neue Marke erfolgreich positioniert.

Wenn wir Bikes von neuen Herstellern aus Fernost testen, sind oft die gleichen Kommentare unter unseren Testvideos zu finden: Wie schaut es mit dem Händlernetz aus? Wie steht es um Ersatzteilversorgung? Wie ist der Werterhalt? Und gibt es die Marke in ein paar Jahren überhaupt noch? Verstehst du diese Sorgen der Endkunden?

Nur bedingt. Natürlich war zuletzt in dem Markt eine gewisse Dynamik, neue Marken sind gekommen, gegangen, Importeure haben gewechselt. Aber wenn ich mich als Kunde etwas mit dem Produkt beschäftigte, für das ich ein paar Tausend Euro ausgebe, kann ich schnell verifizieren: Wer steht hinter der Marke? Wer ist der Importeur in meinem Land dafür? Wie viele Händler gibt es? Das sind schon erste Indizien, ob das ein seriöser Hersteller ist oder nicht. Ob man sich jetzt ein Modell einer chinesischen Nischenmarke kaufen will oder nicht, muss jeder für sich entscheiden. Aber wenn man eine der sagen wir rund zehn grossen chinesischen Marken kauft, kann man davon ausgehen, dass die gekommen sind, um zu bleiben. Ein Beispiel: QJ Motor. Dahinter steht Geely Motors, da gehört Volvo dazu, Polestar und das Unternehmen hält zehn Prozent der Anteile an Mercedes-Benz. Die sind grösser als mancher japanische Hersteller und somit eine seriöse, gute Wahl.

Dann bleiben wir doch gleich bei euren Marken. Brixton hat sich mittlerweile komplett am Markt etabliert. Motron, eine von euch neu gegründete Marke, soll im Budgetsegment für eure Händler das Modellportfolio nach unten hin abrunden. Malaguti hast du vorher erwähnt, wird auf der EICMA einen grossen Aufschlag machen. Was dürfen wir uns hier erwarten?

Korrekt, mit Malaguti haben wir nächstes Jahr viel vor. Es wird sechs neue Modelle auf der EICMA geben und wir werden uns auf den Kern der Marke fokussieren: Urban Mobility, also Roller. Dafür wird es ein Aufleben vieler bekannter Traditionsmodelle geben, mehr wird man dann auf der Messe sehen.

Urban Mobility bedeutet auch gleich elektrische Roller?

Jein! Wir haben auch elektrische Konzepte dafür in der Hinterhand, aber aktuell werden wir diese nicht zeigen und bringen, weil schlicht die Kundennachfrage fehlt. Die Elektromobilität hat zwar gerade in der Stadt auf kurzen Pendelstrecken ihre ganz klaren Stärken, aber aktuell sehen wir keine entsprechend grosse Kaufbereitschaft der Endkunden, womit wir lieber jene Modelle bringen, die wirklich Marktakzeptanz finden werden.

Neben dem Zweiradsegment habt ihr auch Vierräder im Angebot, also Quads und Side-by-Sides. Was ist hier euer Plan für die nahe Zukunft?

Wir sind gerade dabei mit zwei Marken Vollanbieter in dem Segment zu werden: Segway und QJ Motor. Mit Segway decken wir von 500- bis 1000-Kubik im Bereich ATV-, UTV- und SSV alles ab, das Gleiche machen wir auch mit QJ Motor. Diese Vierräder sind natürlich fahrende Werkzeuge, die müssen herhalten und robust sein. Ein Quad ist in vielen Angelegenheiten die ideale Lösung: Durch den niedrigen Bodendruck und die vergleichsweise schmale Bauweise kannst du im Weingarten zwischen den Reben oder im Obstgarten fahren. Man ist schneller als mit einem Traktor unterwegs, hat trotzdem volle Traktion und sogar noch eine Seilwinde, wenn diese benötigt wird. Wir glauben, dass es dafür gerade im ländlichen Bereich genug Einsatzzwecke gibt. Aber ja, der kommerzielle Quad-Markt, wo diese als Allzweck-Arbeitstiere eingesetzt werden, ist ein reiner Verdrängungswettbewerb, der nicht unendliche Potenziale verspricht, sondern wo man klar mit attraktiven Produkten abliefern muss. Auch mengenmässig ist dieses Geschäftsfeld natürlich deutlich kleiner als der Zweiradmarkt.

Um Quads und Motorräder unter die Leute zu bekommen, braucht ihr wie nahezu alle Hersteller und Importeure die entsprechenden Händler. Zwei Fragen dazu: Stationärer Handel auch in Zukunft? Und ist ein Motorräderhändler auch ein guter Quadhändler?

Ja, wir haben ein klares Bekenntnis zum stationären Motorradhändler. Natürlich haben auch wir uns Gedanken zu eventuell digitalen Vertriebsmodellen gemacht, aber wir sind immer wieder zu dem Schluss gekommen, dass der Händler der bessere Vertriebspartner für unsere Produkte ist. Wir sind auch der Meinung, dass wir mit unseren Produkten dem Handel eine attraktive Marge bieten können, die es erlaubt, Spass bei der Zusammenarbeit mit uns zu haben. Denn auch wir kennen die Geschichten von der Handelsfront der vorgeschriebenen Fliesen, die dann nach dem Geschäftsführerwechsel des Herstellers zwei Jahre später wieder geändert gehören usw. So sind wir nicht! Wir unterstützen unsere Handelspartner wo wir können, auch bei dem delikaten Thema Zahlungsziele. Das Ziel muss immer sein, dass für jeden etwas übrigbleibt und es Spass macht, gemeinsam zu wachsen. Ausserdem ist ein verlässlicher Händler wichtig, um den Kunden eine Service-, Wartungs- und Ersatzteilversorgungssicherheit zu bieten. Da wären wieder beim Thema der Communityfragen bei euch in den Kommentaren. Bezüglich Motorradhändler gleich Quadhändler: Wie bereits erwähnt, sind unsere Vierräder richtige Werkzeuge, die auch entsprechende Kunden haben. Hier haben wir ein gutes Händlernetz und auch gute Erfahrungen mit Händlern gemacht, die keine Motorräder verkaufen, sondern im Bereich Agrar und Landwirtschaft breit aufgestellt sind. Das Besondere unserer Vierräder: Wir haben den Bleistift nochmal nachgespitzt und sind jetzt rund zehn Prozent günstiger als die Mitbewerber bei gleicher oder sogar besserer Ausstattung.

Interview KSR
Bei Malaguti wird es auf der EICMA 2024 ein Neuheitenfeuerwerk geben!
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Bericht vom 11.10.2024 | 7.199 Aufrufe

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